Attacke aus der rechten Ecke?
Junger Mann mit Knallkörper angegriffen – Verdächtige Indizien, Verfahren eingestellt
NOZ v. 22.2.2012
Osnabrück. Geht die Justiz zu lasch mit Tätern aus der rechten Szene um? Diese Frage wirft die Rechtsanwältin Ulrike Burghardt auf. Vordergründig geht es um einen Knallkörper, der einem jungen Mann um die Ohren flog. Einem Mann mit erkennbar südeuropäischen Wurzeln. Bei den mutmaßlichen Unruhestiftern kamen Waffen zum Vorschein – und Tätowierungen, die eine Nähe zu NS-Organisationen nahelegen. Aber das Verfahren wurde eingestellt.
Der Fall liegt schon ein Jahr zurück, und die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat das Verfahren eingestellt. Aber der verharmlosende Umgang maßgeblicher Behörden mit einer ganzen Serie von Neonazi-Morden lässt Ulrike Burghardt an der Entscheidung zweifeln.Am Abend des 4. Februar 2011 knallte es, als ihr Mandant Suad S. vor seinem Haus am Kalkhügel über den Bürgersteig ging. Der heute 31-jährige Osnabrücker mit deutschem Pass und bosnischen Wurzeln war nicht nur durch die Attacke auf sein Trommelfell geschockt, er registrierte auch, dass da etwas leuchtete und sich drehte. Für ihn steht fest, dass es sich um eine gezielte Attacke handelte. Als Motiv vermutet er Hass auf Ausländer.
Was da knallte, war offensichtlich Leuchtmunition, abgefeuert aus einer Schreckschusspistole in einer Dachgeschosswohnung des Nachbarhauses. Als eine Polizeistreife dort kurze Zeit später klingelte, stieß sie auf mehrere betrunkene Hardcore-Techno-Fans, die sich als Anhänger der Techno-Szene „Gabber“ ausgaben. Trotz ihres Alkoholpegels leisteten die jungen Leute massiven Widerstand. Nur mit großer Mühe gelang es den Polizisten, die Personalien der renitenten Trunkenbolde festzustellen. Gegen Beamte mit Migrationshintergrund, die an der Aktion beteiligt waren, sollen sich die Aggressionen in besonderer Weise gerichtet haben.
NS-Symbole auf der Haut
In der Wohnung stellten die Polizisten eine Schreckschusspistole sicher, die einen „kleinen Waffenschein“ erfordert, wenn sie außerhalb der Wohnung getragen wird, dazu Platzpatronen, 39 Pyroknallpatronen und drei Chinaböller. Außerdem fanden sich als „Deko-Waffen“ bezeichnete Messer, Äxte, Schwerter und eine Armbrust.
An den Körpern der alkoholisierten Gabber-Jünger fielen den Polizisten zahlreiche Tätowierungen auf, die sie der rechten Szene zuordneten. In der allgemeinen Aufregung bestand aber keine Gelegenheit, diese Tätowierungen genauer zu untersuchen. Die Frage, ob die vier Männer und eine Frau illegale Symbole wie Hakenkreuze oder SS-Runen auf der Haut trugen, hätte ohnehin keine strafrechtliche Bedeutung: „Innerhalb einer Wohnung ist das nicht verboten“, sagt dazu Alexander Retemeyer, der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft.
Die Staatsanwaltschaft hat zunächst gegen den Mieter der Wohnung und seine vier Gäste ermittelt. In den polizeilichen Vernehmungen zwei Wochen später erschienen die Beschuldigten ohne Alkoholfahne und erklärten, sie gehörten zur Metal-Szene und seien Mittelalter-Fans, aber keine Neonazis. Die Frage, wer den Knallkörper auf Suad S. geworfen hat, ließ sich nicht aufklären. Daraufhin stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein. Die beschlagnahmten Waffen wurden den Beschuldigten zurückgegeben.
Die Akten geschlossen
Ulrike Burghardt fordert Schmerzensgeld, weil ihr Mandant ein Knalltrauma erlitten habe. Gegen die Einstellung des Verfahrens legte sie Beschwerde ein und erwirkte, dass die Sache noch einmal aufgerollt wurde. Doch die Staatsanwälte kamen zum gleichen Ergebnis und schlossen die Akten ein zweites Mal.
Eine gezielte Attacke lasse sich nicht nachweisen, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Retemeyer. Zum einen bleibe offen, wer den Knallkörper gezündet habe. Zum anderen sei der Gehweg vom Dachfenster der fraglichen Wohnung kaum einzusehen. Hinzu komme, dass die vier Männer und die Frau bisher nicht als Neonazis in Erscheinung getreten seien.
Rechtsanwältin Ulrike Burghardt überzeugt das nicht. Die Ereignisse vom Kalkhügel passten perfekt in das rechtsex tremistische Schema. Es dränge sich der Eindruck auf, die Ermittler hätten sich zu schnell in die Irre leiten lassen. Jahrelang seien solche Taten unterschätzt worden, meint die Anwältin und erinnert an die Morde der NSU, für deren Opfer die Verfassungsorgane des Bundes am Donnerstag eine Gedenkfeier mit Bundeskanzlerin Angela Merkel veranstalten.
Eine gewisse Zuversicht klingt mit, wenn Ulrike Burghardt an die Diskussionen der vergangenen Monate denkt: „Ich glaube, dass man da heute etwas empfindlicher reagieren würde.“